Interessen und Stärken
Wie finden wir einen Beruf, der zu unserer Neigung und Eignung passt? Wie genau sollte also der Beruf zu unseren Interessen, unserer Persönlichkeit, unseren Werten und unseren Begabungen passen, damit wir zufrieden und erfolgreich sein können?
Bei der Berufsfindung liegt es auf der Hand zunächst einmal zu überlegen, für welche Bereiche man sich eigentlich interessiert, also: Bin ich jemand, der gerne und stundenlang an einem Auto schraubt? Bin ich eher jemand, der gerne mit Zahlen hantiert? Oder setze ich mich viel lieber für Tiere und deren Wohlergehen ein?
Interessen bestimmen in einem hohen Maß, ob wir die uns übertragenen Aufgaben gerne und erfolgreich erledigen. Je mehr unsere Interessen zu den tatsächlichen Aufgaben an unserem Arbeitsplatz passen, desto besser. Aber welche Interessens- und Stärkenbereiche gibt es eigentlich?
Das Modell von John L. Holland
Laut dem Modell von John L. Holland kann man persönliche Interessen und Stärken aber auch Arbeitstätigkeiten nach den folgenden sechs Orientierungen einteilen:
Praktische/Realistische Orientierung (R – Realistic): Aufgaben, die Kraft, Koordination oder handwerkliches Geschick erfordern. Dies können z.B. handwerkliche, technische, landwirts- oder forstwirtschaftliche Tätigkeiten sein. Sichtbare und konkrete Ergebnisse sind Personen mit dieser Orientierung besonders wichtig.
Intellektuelle/Forschende Orientierung (I -Investigative): Aufgaben, die mithilfe von Forschung, Denken oder systematischer Beobachtung gelöst werden können. Personen mit dieser Orientierung bevorzugen eine strukturierte und methodische Arbeitsweise.
Künstlerische Orientierung (A – Artistic): Tätigkeiten mit sprachlichem oder künstlerischem Ausdruck. Personen mit dieser Orientierung bevorzugen eine offene, unstrukturierte Arbeitsatmosphäre, sie lehnen starre Arbeitsabläufe oder Strukturen ab.
Soziale Orientierung (S – Social): Tätigkeiten, bei denen die zwischenmenschlichen Beziehungen im Vordergrund stehen. Personen mit einer sozialen Orientierung bevorzugen Tätigkeiten wie Lehren, Unterrichten, Ausbilden, Pflegen etc.
Unternehmerische Orientierung (E – Enterprising): Tätigkeiten, bei denen die Person überzeugen, verkaufen, oder führen kann. Personen mit dieser Orientierung kümmern sich gerne um die wirtschaftliche Planung und um finanzielle Ziele.
Konventionelle Orientierung (C – Conventional): Interesse an verwaltend, ordnenden Tätigkeiten (wie Daten erfassen, Dokumentationen führen etc.). Personen mit dieser Orientierung bevorzugen einen strukturierten und regelhaften Arbeitsablauf.
Personen oder Tätigkeiten können dabei nicht nur einer einzigen Orientierung zugeordnet werden. Vielmehr können zwei oder sogar 3 Kategorien gleichzeitig zutreffen.
Sind wir unseren individuellen Orientierungen auf die Spur gegangen, so ergibt sich schließlich ein sogenannter „3 Letter Code“, der unsere Präferenz zusammenfasst. (z.B. „SIA“ für die Kategorien Sozial mit der höchsten Passung, Investigativ mit der zweitgrößten Passung und Künstlerisch (Artistic) mit der drittbesten Passung).
Auch das Arbeitsumfeld kann nach demselben Schema kategorisiert werden. Eine optimale Passung im Beruf erreicht man somit dann, wenn der persönliche Code und der Code der ausgeübten Berufstätigkeit möglichst nah beieinander liegen. Der Beruf Arzt/Ärztin wird z.B. ebenfalls mit SIA codiert und wäre daher für jemanden mit diesem Interessensprofil eine sehr gute Passung.
Die Theorie von Holland findet in zahlreichen Tests zur Studien-, Berufs- und Laufbahnberatung Anwendung. Einer dieser Tests ist z.B. Explorix. Dieser erstellt auf Basis von deinen Selbsteinschätzungen zu Interessen und Fähigkeiten sowie deinen Beurteilungen von verschiedenen Berufsfeldern ein Gesamt-Profil und den erwähnten „3 Letter Code“ zusammen. Der Test zeigt außerdem eine große Reihe von konkreten Berufsmöglichkeiten auf, die gut zu deiner Orientierung passen.
Weitere Informationen zum Testverfahren findest du auf der Webseite von Explorix. Hier steht auch ein Beispiel-Report zur Verfügung.
Nur unsere Interessensgebiete zu kennen, reicht oft nicht aus
Professor Aljoscha Bauer, der zu interindividuellen Unterschieden an der Universität Graz forscht, mahnt zur Vorsicht, bei der Berufsfindung lediglich die Interessen einfließen zu lassen. In einem Interview* mit einer deutschen Zeitung sagte er, dass wir uns viel mehr Gedanken darüber machen sollten, was wir wirklich gut können statt nur darüber nachzudenken, was uns interessiert.
Dies liege zum einen daran, dass sich Interessen über die Zeit verändern können. In Studien konnte außerdem gezeigt werden, dass Interessen und Talente sich oft nicht decken. So stimmten bei etwa 30 bis 40% der Personen Interessen und Fähigkeiten nicht sonderlich gut überein.
Das Spannende dabei ist, dass wir dies oft selbst nicht wahrnehmen können. Wir scheinen hier eine Art blinden Fleck zu besitzen, der uns für unsere eigentlichen Begabungen blind macht und uns stattdessen zu sehr auf unsere Interessen vertrauen lässt.
Wenn wir nun unsere Berufswahl lediglich auf Basis von Interessen treffen, kann dies unter Umständen zu recht viel Frust führen. Denken wir da z.B. an einen jungen Mann, der sehr gerne an Autos herumschraubt und sich daher entschließt, eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker zu beginnen. Wenn er nun zusätzlich zu seinem Interesse nicht auch eine gute bis sehr gute räumliche Vorstellungskraft besitzt (die in diesem Beruf entscheidend ist, um Arbeiten zuverlässig und schnell durchführen zu können), wird er in diesem Beruf wahrscheinlich kaum Erfolg haben und die Ausbildung abbrechen. Das Herumschrauben an Autos könnte dann weiterhin ein Hobby bleiben. Um eine für sich passende Ausbildung zu finden, wird er sich allerdings zusätzlich Gedanken über seine Stärken und Begabungen machen müssen.
Unsere Interessen spielen bei der Berufswahl eine wichtige Rolle und können uns eine gute erste Orientierung geben. Allerdings wird sich kein klares Bild von einem passenden Beruf ergeben, wenn wir nicht auch die weiteren wichtigen Mosaiksteine zur Berufsfindung betrachten – unsere Stärken, unsere Persönlichkeit und unsere Werte/Motive.
Interessantes zum Nach- und Weiterlesen:
Aljoscha Neubauer: Mach, was du kannst. Deutsche Verlags-Anstalt. ISBN: 9783421047939. 272 Seiten.
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